Was ist keine Partizipation?

Und wie Sie die Schein-Parizipation vorbeugen können. 

In diesem Artikel habe ich erklärt, was das Recht auf Partizipation gemäß der Kinderrechte Konvention bedeutet. Wenn es jedoch darum geht, die Rechte in der Praxis anzuwenden, gibt es eine ganze Reihe unterschiedlicher Ansichten und Auffassungen darüber, wie das Recht auf Beteiligung umgesetzt werden sollte. 

Die Interpretation, die ich hier anbiete, basiert auf den Kindheitswissenschaften, zu denen die Kinderrechtskonvention in engem Zusammenhang steht. Sie fragen sich vielleicht, was sind Kindheitswissenschaften? Es handelt sich um einen "Zweig" wissenschaftlicher Studien, der aus der neuen Schule der Soziologie stammt und Kinder als fähige Menschen betrachtet, die aktiv mit der Welt und der Umwelt, in der sie aufwachsen, interagieren und in der Lage sind, informierte Entscheidungen zu treffen. Aus dieser Perspektive sind Kinder in der Lage, sich in den Entscheidungsprozess einzubringen, wenn es um Dinge geht, die sie betreffen. 

Nun zurück zur Partizipation. Das ist ein ziemlich komplexes Thema, das oft nicht einfach anzuwenden ist. So ging es mir zumindest jahrelang, als ich nach einer Art Modell suchte, das ich auswendig gelernt hatte, um zu verstehen, wie man es richtig umsetzt. In meiner Zeit als Pädagogin habe ich einige partizipative Methoden angewandt, aber ich hatte oft dieses nagende Gefühl, dass irgendetwas nicht ganz richtig ist.  Ich konnte es einfach nicht zuordnen, bis ich das partizipatorische Modell von Roger Hart (1992), "die Leiter der Partizipation", kennenlernte, das genau die Nicht-Partizipation erklärt. Und was ist das?

Mit Nicht-Partizipation oder Schein Partizipation meine ich Formen der "Partizipation", die nur so aussehen oder den Anschein erwecken, in Wirklichkeit aber den Kindern nicht wirklich die Möglichkeit geben, sich zu beteiligen. Sie sind leider die am häufigsten vorkommenden...
Die ersten drei Schritte der Leiter definieren die Formen der Nichtbeteiligung, während der Rest zeigt, wie sich die Beteiligung bis zur höchsten Stufe der sozialen Teilhabe entwickeln kann. 

Nach dem Hart'schen Modell kann Nichtbeteiligung wie folgt identifiziert werden:

1. Manipulation: 

Sie tritt auf, wenn die Kinder den Sinn der eigenen Aktionen nicht verstehen, oder wenn Kinder um eine Meinung gebeten werden, aber keine Bewertung erhalten (Hart, 1992, 9). Mit anderen Worten, findet diese statt, wenn Kinder die Anweisungen von Erwachsenen befolgen, ohne zu verstehen, was der Zweck der Aktivitäten ist, an denen sie teilnehmen sollen.

Beispiel:

In einem Kindergarten soll der Garten erneuert werden. Die Kinder werden gebeten, Zeichnungen anzufertigen, die zeigen, wie der neue Garten aussehen soll. Die Erzieherinnen und Erzieher sammeln die Zeichnungen ein, und während der Teamsitzungen nur für Erwachsene bewerten sie die Zeichnungen und erstellen einen Plan für den Garten, den sie "Kinderentwurf" nennen. Der Prozess selbst wird nicht einmal allen Erzieherinnen und Erziehern in der Einrichtung mitgeteilt, und schon gar nicht den Kindern. Die Kinder haben keine Ahnung, wie ihre Ideen verwendet wurden.

2. Dekoration:

Sie tritt auf, wenn Kinder aufgefordert werden, etwas vorzuführen, ohne den Zweck zu verstehen oder ohne dass sie aufgefordert werden, an der Planung und Durchführung der Veranstaltungen mitzuwirken (Hart, 1992, 9).

Beispiel:

Kinder spielen in einem Theater, das von Erziehern geleitet wird. Sie verstehen das Thema, aber sie verstehen nicht, warum sie es tun, was der Sinn der Sache ist. Die Rollen werden ihnen ohne Rücksprache zugewiesen, und sie sind an der eigentlichen Planung überhaupt nicht beteiligt.

3. Ailibi Teilnahme:

Man spricht von "Fällen, in denen Kindern scheinbar eine Stimme gegeben wird, sie aber in Wirklichkeit wenig oder gar keine Wahl haben, was das Thema oder den Stil der Kommunikation angeht, und wenig oder gar keine Gelegenheit, ihre eigene Meinung zu formulieren" (Hart, 1992, 9). 

Beispiel:

Die Erzieher planen, einen Raum neu zu dekorieren. Sie wählen einige wenige, besonders redegewandte und älteste Kinder aus und fragen sie nach ihrer Meinung.

Den Kindern wurde nicht gesagt, warum sie ausgewählt wurden, sie sind nicht vorbereitet und haben nicht mit anderen Kindern über ihre Ideen gesprochen, was bedeutet, dass sie sie nicht vertreten können. Auch ihre Meinung wird bei der Auswahl der neuen Möbel nicht berücksichtigt. 

oder:

In einem Kindergarten wurde von den Erzieherinnen und Erziehern und ohne Rücksprache mit den Kindern die Regel aufgestellt, dass sich alle Kinder nach dem Mittagessen 30 Minuten lang hinlegen müssen (sie müssen aber nicht schlafen). Die Kinder, die nicht schlafen, können danach aufstehen und sich einer ruhigen Tätigkeit widmen. Die Kinder beschweren sich, aber es wird ihnen nicht zugehört. Die Erzieherinnen denken, dass die Kinder ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben, weil sie nach 30 Minuten aufstehen und sich die nächste Aktivität aussuchen können. In Wirklichkeit haben die Kinder kein Mitspracherecht bei der Festlegung der Regeln für die Ruhezeit, alle müssen tun, was die Erwachsenen sagen, und ihre Stimme der Beschwerde wird ignoriert. 

Hart (1992) erklärt, dass eine echte Beteiligung nur dann stattfindet, wenn die Hintergründe, Argumente und Ergebnisse deutlich gemacht und von den Kindern verstanden werden. Auch die Details des Entscheidungsprozesses müssen absolut klar sein.

Um ein Beispiel zu geben, greife ich auf das erste Szenario zurück, das ich bereits hervorgehoben habe:

Der Garten des Kindergartens muss umgestaltet werden. Das Kindergartenteam (Erzieher:innen und Leiter:in, wenn möglich) erklärt den Kindern in kleinen Gruppen (im Morgenkreis, im Garten, zu anderen geeigneten Zeiten), warum der Garten umgestaltet werden muss. Ein:e Landschaftsplaner:in wird in den Morgenkreis eingeladen, um einige Ideen zu zeigen, wie der Garten aussehen könnte (oder die Impulse werden von den Erzieher:innen weitergegeben). Die Erzieher:innen erklären, dass sie die Kinder nach ihrer Meinung fragen wollen, warum und wie die Meinungen in die endgültige Entscheidung einfließen werden (mit einem selbst gestalteten Plakat wird der Prozess visualisiert): 

Die Ideen der Kinder werden gesammelt, dokumentiert und ausgestellt. Die Kinder erhalten drei Sticker, die sie auf ihre Lieblingsidee oder die wichtigste Idee kleben. Die drei Ideen mit den meisten Aufklebern werden dann an die/den Landschaftsarchitekt:in geschickt, der sie in die Gartenplanung einbezieht. Die Erzieher:innen erklären den Kindern den Prozess von Anfang bis Ende (--> keine Manipulation).

Die Erzieher:nnen fragen die Kinder, ob sie an diesem Prozess teilnehmen möchten oder nicht, und überlassen den Kindern die Entscheidung über ihre eigene Teilnahme. Im nächsten Schritt erklären die Erzieher:innen, wie sie verschiedene Ideen erkunden werden - die Methode, die angewandt werden soll. Die Kinder werden gebeten, Zeichnungen anzufertigen, in denen sie ihre Ideen für den neuen Spielplatz darstellen. Wenn sie jedoch stattdessen malen möchten oder die Idee haben, mit Ton ein Modell zu machen, werden diese Ideen begrüßt und ernst genommen. Einige wenige andere Kinder entscheiden sich für andere Methoden, und so werden kleine Gruppen gebildet. Die Erzieherinnen und Erzieher sprechen mit den Kindern über die Planung, um den Wünschen der Kinder, die ihre Meinung äußern wollen, gerecht zu werden. Einige Kinder sind daran interessiert, bestimmte Aufgaben zu übernehmen, z. B. Fotos von dem Projekt zu machen oder das Modellieren mit Ton zu leiten. Einige Wünsche können nicht berücksichtigt werden und die Kinder erhalten respektvolle Erklärungen, warum dies nicht möglich ist (begrenzte Ressourcen, begrenzte Zeit usw.).

Die Erzieher:innen sammeln die Kunstwerke ein, dokumentieren sie gemeinsam mit den Kindern und gestalten eine Ausstellung an den Wänden des Flurs. Es wird ein Zeitpunkt festgelegt, an dem die Kinder abstimmen können, und die Kinder wählen ihre Lieblingsideen aus. Bevor die Kinder abstimmen, wird mit den Kindern besprochen, ob alle Ideen umsetzbar sind. Die von den Kindern ausgewählten Optionen werden an eine:n Landschaftsplaner:in weitergeleitet. Die fertigen Pläne werden den Kindern vorgestellt, und sie erhalten Informationen darüber, warum die Pläne so aussehen, wann die Arbeiten im Garten beginnen und wann er fertig sein wird. An dem Tag, an dem das Gartenprojekt fertig ist und genutzt werden kann, gibt es eine Feier.

In diesem Beispiel können wir die Schritte identifizieren, die unternommen werden müssen, um die Partizipation zu gewährleisten (und um eine Nicht-Partizipation zu vermeiden):

  1. Bevor Sie mit dem Prozess beginnen, planen Sie sorgfältig den Zeitrahmen, die Ressourcen und die Schritte, die unternommen werden müssen, und überlegen Sie, wie die Kinder teilnehmen können.

  2. Geben Sie den Kindern so viele Hintergrundinformationen wie möglich (Tipp: Laden Sie eine:n Expert:in ein)

  3. Erklären Sie, warum Sie die Meinung der Kinder einholen.

  4. Erklären Sie so detailliert wie möglich, wie die Meinungen die Entscheidung beeinflussen werden.

  5. Lassen Sie den Kindern die Wahl, sich nicht zu beteiligen.

  6. Seien Sie bei der Methodenplanung offen für die Ideen der Kinder und gehen Sie, wenn möglich, auf ihre Vorstellungen ein. 

  7. Beziehen Sie die Kinder in die Dokumentation ein.

  8. Beteiligen Sie die Kinder an der Analyse. 

  9. Informieren Sie die Kinder über die Ergebnisse und darüber, wie ihre Ideen die Ergebnisse beeinflusst haben und informieren Sie sie über weitere Schritte.

  10. Vergessen Sie nicht, am Ende zu feiern!!!

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Quellen:

Hart, R. (1992) Children’s Participation. From Tokenism to Citizenship, Florence: UNICEF International Child Development Centre, Innocenti Essays (4) 08)

Hart, R. (2008) Stepping back from the “ladder”: Reflecions on a model of participatory work with children. In Reid., A., Jensen, B., Nikel, J., Simovska, V. (eds) Participation and Learning: Perspectives on education and the environment, health and sustainability, Netherlands: Springer.

James, A, James A.L. (2012) Key Concepts in Childhood Studies: Sage.

James, A., Jenks, C., Prout, A. (eds) (1998) Theorising Childhood, Cambridge: Polity Press.

James, A.,Prout, A.(eds.) (1997) Constructing and reconstructing Childhood: Contemporary Issues in the Sociological Study of Childhood, Falmer Press: London, Washington D.C.

Fotos: Pexels




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